Projektleiterin Susanne Braun im Interview mit Julia Böhm über Highlights, Meilensteine und Visionen von Digitale Teams

Susanne Braun im Interview

JB: Susanne, bitte gib uns doch eine kurze Zusammenfassung des Jahres für das Projekt Digitale Teams. Was waren die Highlights? Was waren die wichtigsten Meilensteine 2019?

SB: Sehr gerne! Ein Highlight war für mich unser erstes Meilensteintreffen Anfang des Jahres, in welchem die ersten wichtigen Ergebnisse unserer IST-Analyse vorgestellt wurden. Wir sind stark nach dem Prinzip des Design-Thinkings vorgegangen. Das heißt, wir haben erst mal versucht, ein vertieftes Problemverständnis für remote-Worker oder new-Worker, also Menschen, die zunehmend örtlich flexibel zusammenarbeiten, zu entwickeln. In diesem ersten Meilensteintreffen haben wir unsere Ergebnisse vorgestellt, die wir im Rahmen von verschiedenen Erhebungsformaten ermittelt haben. Dies hat uns den Blick fürs Detail geöffnet und für viele Probleme, die wir so vorher noch nicht beleuchtet hatten. Im Mai und im Juni haben wir unsere Innovationsworkshops in Berlin und Kaiserslautern durchgeführt. Mit mehr als 36 Teilnehmer*innen. Im Rahmen dieser Veranstaltungen generierten wir mehr als 900 Ideen!

So eine große Menge an Ideen sind natürlich ein superschönes Ergebnis. Auf der anderen Seite war es für uns dann im Anschluss nicht so einfach, das alles auszuwerten. Im August gab es für mich ein weiteres Highlight: Der Backlog-Priorisierungs-Workshop bei unserem Partner Hans-Peter Sander, der das Ammersee-Denkerhaus betreibt. Das war eine sehr schöne Veranstaltung! Wir haben eine neue Technik ausprobiert: Ideen und Features, die uns zu dem Zeitpunkt am erfolgreichsten erschienen, wurden versteigert. Dazu haben wir  verschiedene Teams gebildet. Jedes Team hatte ein festes Budget, das es verwenden konnte, um Ideen zu ersteigern, weiter auszuarbeiten und zu ausgereifteren Produktideen weiter zu entwickeln. Die Teams haben ihre Produktideen dann so gepitcht, als ob sie ihre Ideen vor Investoren vorstellen würden. Am Ende wurde ein Siegerteam gekürt. Aus den Ergebnissen haben wir unsere Produkt-Roadmap abgeleitet. Ab dem Spätsommer haben wir noch einmal ordentlich Gas gegeben, um alles soweit vorzubereiten, dass wir im neuen Jahr die agile Entwicklung unserer Digitale-Teams-Plattform starten können.

JB: 2019 gab es viele Veranstaltungen, z. B. die Smart Country Convention oder die Thüga, bei denen Digitale Teams vertreten war. Was ist dir dabei besonders in Erinnerung geblieben und warum?

SB: Für mich ist es auch ein persönliches Highlight, dass, egal wo wir hinkommen und wo wir von diesem Projekt erzählen, die Leute sehr positiv reagieren. Viele sind nicht nur interessiert daran, sondern sogar dazu bereit, sich im Rahmen einer assoziierten Partnerschaft unentgeltlich zu engagieren und mit uns zusammen das Thema weiter voranzutreiben. Gerade bei der Smart Country Convention in Berlin, bei der wir verschiedene Vorträge und Präsentationen hielten, sind im Nachgang unterschiedlichste Menschen auf uns zugekommen. Das freut mich insbesondere, weil ich an einem Forschungsinstitut arbeite, welches sich mit anwendungsorientierter Forschung beschäftigt. Dieses Interesse ist dann eine tolle Bestätigung dafür, dass wir an etwas dran sind, was tatsächlich relevant und von Bedeutung für die Menschen ist. Auch bei der Thüga haben wir viel positives Feedback bekommen. Die Thüga ist auch interessiert an den Ergebnissen und möchte weiter mit uns zusammenarbeiten. In der Außenwahrnehmung sind wir einfach sehr gut aufgestellt!

JB: Auf diesen Veranstaltungen ist das Forschungsprojekt Digitale Teams ja sicherlich auch mit vielen anderen Mitstreiter*innen zur Belebung des ländlichen Raums in Kontakt gekommen. Gab es denn da Begegnungen, welche du als besonders wertvoll wahrgenommen hast?

SB: Auf jeden Fall! Im September war ich auf einer Veranstaltung in Sachsen-Anhalt: Einer Standortmarketing-Konferenz, bei der es darum ging, wie wir die Digitalisierung nutzen können, um den ländlichen Raum zu stärken. Was können wir gegen Landflucht konkret tun? In Sachsen-Anhalt habe ich viele Menschen aus den Kommunen getroffen und mit Bürgermeistern gesprochen, die mir das Feedback gegeben haben, dass sie das Projekt interessant und auch relevant finden. Natürlich steht die digitale Zusammenarbeit auch vor Herausforderungen. Wenn jetzt zum Beispiel unsere digitalen Pioniere aus den großen Städten zurück in die Dörfer gehen, kann es natürlich auch zu Kulturkonflikten zwischen der Landbevölkerung und den neuen Gemeindemitgliedern kommen. Es geht also nicht nur um die Frage, wie wir besser zusammenarbeiten können, sondern auch darum, wie wir grundsätzlich unser Zusammenleben so gestalten, dass wir Verständnis füreinander haben.

JB: Im Jahr 2019 wurde das Arbeitspaket 2 (im Folgenden: AP2) innerhalb des Forschungsprojektes abgeschlossen. Kannst du uns kurz erklären, worum genau es in dem Arbeitspaket ging und uns erzählen, was die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Abschnitt des Projektes waren und wo sich diese im Laufe des Projekts widerspiegeln werden?

SB: Beim AP 2, ging es darum, ein vertieftes Problemverständnis und Empathie für die Menschen zu entwickeln, die in verteilten Teams oder dauerhaft remote im Homeoffice arbeiten. Was sind die Probleme und was sind die Bedürfnisse? Mit diesen Fragen im Hinterkopf können wir gute Ideen, Features und Lösungen entwickeln. Wir haben die Ergebnisse aus AP2 verwendet, um die Innovationsworkshops vorzubereiten, um dann mit den Erfahrungsträger*innen in die Ideengenerierung einzusteigen. Das ist aber nicht einfach nach den Innovationsworkshops abgeschlossen, es ist ein lebendiger Prozess, der weitergeführt wird. Wir werden weiterhin an den Problemen dranbleiben und auch in der weiteren Entwicklung immer wieder versuchen, zum Beispiel im Rahmen von Designsprints oder anderen Kreativitätstechniken neue Ideen zu entwickeln, die auf die Herausforderungen, die wir kennengelernt haben, eingehen.

JB: Ist dir aus dem Arbeitspaket heraus eine Erkenntnis in Erinnerung geblieben, die dir so wichtig erscheint, dass sie sich deiner Meinung nach im Laufe des gesamten Projekts widerspiegeln wird?

SB: Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem AP 2 war, dass die meisten Leute, die in verteilten Teams oder remote arbeiten, sich eine möglichst präsenznahe Kommunikation wünschen. Trotz der Verfügbarkeit von Kommunikationstools wie Chat- und Messenger-Apps ist Kommunikation an sich immer noch ein großes Thema! Durch die digitale Kommunikation gehen sehr viele Eindrücke verloren. Diese Eindrücke brauchen kreative Wissensarbeiter aber häufig, um gute Ideen und Problemlösungen zu entwickeln. Insbesondere da wollen wir ansetzen. Wir wollen es schaffen, bestimmte Eindrücke, die man normalerweise nur durch Präsenz erfährt, in die virtuelle Welt zu übertragen oder dort eben auch ein Stück weit erlebbar zu machen. Das wird mit Sicherheit ein Schwerpunkt sein, der uns noch lange begleiten wird.

Ein weiteres Aha-Erlebnis hatten wir im Zusammenhang mit der Informations- und Reizüberflutung. Es ist interessant, dass sich remote-Arbeiter*innen einerseits wünschen, dass möglichst alle Informationen digital verfügbar sind, aber andererseits besteht auch der Wunsch nach Komplexitätsreduktion. Das ist eine Herausforderung für das ganze Interaktions- und Userexperience-Design. Sämtliche Informationen, die man für seine Arbeitssituation benötigt, kontextbezogen digital verfügbar zu machen und dennoch eine Nutzeroberfläche zu schaffen, die einfach und intuitiv verständlich bleibt, ist ein gewaltiger Spagat für die Entwicklung.

JB: Du hast es im Gespräch schon selbst erwähnt, dass das Forschungsprojekt ein lebendiger Prozess ist. Ein Projekt über ein solch dynamisches Thema bleibt in Bewegung und entwickelt sich aus sich heraus. Spürst du denn als Projektleiterin manchmal eine Art Wachstumsschmerzen, im Sinne von: Das hatte ich nicht erwartet, dass es sich so entwickelt. Und wenn ja, wie gehst du damit um?

SB: Durch die viele positive Resonanz entsteht auch eine gewisse Arbeitsbelastung. Das hat mich auf jeden Fall ein Stück weit umgehauen. Wir haben von Anfang an viel Unterstützung erfahren und Anfragen von extern erhalten, das Projekt vorzustellen und so auch viele Chancen erhalten mit verschiedenen Partner*innen zusammenzuarbeiten. Das hat unsere Erwartungen übertroffen und wir hatten ursprünglich nicht so viele Personalmittel für Öffentlichkeitsarbeit eingeplant, wie wir nach aktuellem Stand eigentlich benötigen würden. Trotzdem haben wir bisher alles geschafft, worauf ich und auch alle anderen Partner*innen sehr stolz sind, auch, wenn wir ab und an am Limit arbeiten.

JB: Ist das ein Umstand, den man dem Projektgeber weitergibt, im Sinne von: Dieses Thema ist wirklich so umfangreich und relevant, da müsste man weiter machen oder da müsste man noch mehr investieren?

SB: Ja, das ist ein guter Punkt! Direkt haben wir das jetzt noch gar nicht gespiegelt. Im Endeffekt ergibt sich das dann meist am Ende von so einem Projekt. Hier werden dann die Anschlussfinanzierungen und die Möglichkeiten, einzelne Themen weiter voranzutreiben, überprüft.

JB:  Wird deiner Meinung nach, das Thema der Förderung des ländlichen Raums innerhalb unserer aktuellen Regierung ernst genug genommen?

SB: Mittlerweile gibt es schon ein gewisses Bewusstsein und dazu hat auch das Projekt Digitale Teams beigetragen. Aber das Thema könnte – unserer Meinung nach – ruhig noch ein bisschen weiter oben auf der Agenda stehen. Andere Themen, wie beispielsweise Industrie 4.0, die natürlich auch sehr wichtig sind, haben eine deutlich höhere Sichtbarkeit. Wissensarbeit ist – auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland – in der Zukunft von großer Bedeutung, weil eben die Mehrwerte in Zukunft zunehmend von Wissensarbeiter*innen generiert werden.

JB: Was glaubst du sind die größten Potenziale von Digitale Teams?

SB: Was Digitale Teams im Endeffekt leisten sollte, ist aufzuzeigen, dass remote Work und flexible Arbeitsformen in der Praxis tatsächlich funktionieren. Das bedeutet, dass wir uns im Prinzip von der Präsenzkultur verabschieden können. Es ist deshalb unsere Aufgabe, zum einen die beste Technik- und Toolunterstützung hierfür bereitzustellen und zum anderen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen, den Wandel hin zu New Work zu meistern. Das heißt, dass wir da auch konkret beraten müssen, Best Practices-Beispiele nennen und Erfolgsfaktoren ausarbeiten, damit die Unternehmen diesen Wandel erfolgreich meistern können. Es reicht nicht, einfach „nur“ mobiles Arbeiten einzuführen und ein paar Tools bereitzustellen, sondern es braucht auch eine gewisse digitale Kompetenz und eine offene Unternehmenskultur.

Wir möchten ein Gesamtpaket liefern, damit sich Unternehmen für die Zukunft wappnen können, damit sie künftig auch ihre Wissensarbeiter*innen optimal einsetzen können, damit diese die besten Problemlösungen entwickeln können und weiterhin konkurrenzfähig bleiben, trotz (oder Dank!) verteilter Arbeit. In diesem Zusammenhang verfolgen wir übergeordnet ganz klar das Ziel, der Landflucht in Deutschland entgegenzuwirken. Die negativen Folgen der Landflucht kennen wir alle: steigende Immobilienpreisen, Städte, die aus allen Nähten platzen, Landstriche, die absterben und so weiter.

JB: Wohin geht deiner Meinung nach, die Reise von Digitale Teams 2020?

SB: 2020 wird ganz stark unter dem Stern stehen, agil zu entwickeln. Das heißt: Wir wollen alle vier Wochen ein Produktinkrement liefern, welches wir in unseren internen Pilotgruppen evaluieren, so Feedback generieren und darauf aufbauend die weitere Entwicklung steuern. Es wird ganz stark darum gehen, Code zu produzieren, Lösungen zu entwickeln, um Ende des Jahres einen ersten Prototypen zu haben. Dieser kann dann auch an externe Partner herausgegeben werden. Die Arbeit mit dem Prototypen ermöglicht uns die kontinuierliche Weiterentwicklung und das Testen von neuen Lösungen, sodass wir Ende 2020 ein fertiges Dashboard präsentieren können.

JB: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit Digitale Teams auch im Jahr 2020!